Keine Daheimnisse!

Mit „Keine Daheimnisse!“ lancierte NCBI Schweiz ein partizipatives Kinder- und Jugendprojekt, um das Thema körperliche und andere übergriffige Strafen mit Kindern und Jugendlichen konstruktiv anzugehen. In Ergänzung zur Arbeit anderer Organisationen mit Eltern kommen in diesem Projekt Kinder und Jugendlichen zu Wort. Das Projekt fördert die Auseinandersetzung mit dem Thema und sensibilisiert Kinder und Jugendliche dafür, dass körperliche und andere übergriffige nicht in Ordnung sind.
Des weiteren organisiert NCBI Schweiz regelmässig Webinare und Weiterbildungsveranstaltungen für Fachpersonen zum Thema häusliche Gewalt.
Seit 2011 konnten mehr als 200 lokale Projekte erfolgreich durchgeführt werden.
Über die Jahre wurde das Projekt von unterschiedlichen Stellen finanziell unterstützt.
Dank der Unterstützung des Schweizerischen Fonds für Kinderschutzprojekte konnte das Projekt von der Berner Fachhochschule evaluiert werden.

Das Ziel

Kinder und Jugendliche ab 10 Jahren, die von Körperstrafen und anderen Formen häuslicher Gewalt (mit)betroffen sind, werden unterstützt, in ihren Ressourcen und Bewältigungskompetenzen gestärkt und ermutigt, ihre Stimmen zu erheben und dadurch in dieser Thematik vermehrt mitzuwirken. Ebenso werden ihre nahen Bezugspersonen (Eltern, Freund:innen, Kamerad:innen) für die Thematik sensibilisiert.

Der Ablauf

Lokale Keine Daheimnisse Projekte

Um Kinder und Jugendlichen mit dem Präventionsangebot direkt zu erreichen, werden lokale Projekte mit Kinder- und Jugendgruppen (z.B. Schulklassen, der offenen Jugendarbeit, SEMOs, Heiminstitutionen, etc.) durchgeführt.
Nach dem Erstkontakt und der Projektvorbereitung mit den Verantwortlichen der interessierten Institution (z.B. Schulsozialarbeit und Lehrperson in Schulen) startet das Projekt mit einem Workshop für die Gruppe (siehe Abb.1).

Abb. 1: Ablauf eines lokalen Keine Daheimnisse Projekts

NCBI Schweiz gestaltet im Beisein der/des lokalen Projektverantwortlichen den Workshop zu häuslicher Gewalt und körperlichen und anderen übergriffigen Strafen anhand folgender Fragestellungen:

  • Was ist häusliche Gewalt? Was sind übergriffige Strafen?
  • Was ist meine Haltung dazu?
  • Welche Erfahrungen habe ich mit häuslicher Gewalt gemacht und was hat sie bei mir ausgelöst?
  • Was sind die Kinderrechte? Welche Rechte habe ich?
  • Wo hole ich Hilfe für mich oder meine Kolleg:innen/Geschwister und wie kann die Hilfe aussehen?
  • Wie können wir unsere Stimme gegen häusliche Gewalt und übergriffige Strafen erheben?

Alters- und zielgruppengerecht werden die Themen aufgegriffen, die für die Kinder und Jugendlichen wichtig sind. Zentral ist dabei auch die Anwesenheit einer lokalen Fachperson, an welche sich die Kinder/Jugendlichen bei Schwierigkeiten zu Hause oder sonst direkt wenden können bzw. welche sich bereit erklärt, die Fälle aufzunehmen bzw. zu triagieren. So kann die Hemmschwelle, für sich oder andere Hilfe zu holen, massgeblich gesenkt werden. Die Evaluation von Keine Daheimnisse durch die Berner Fachhochschule (BFH) (online unter https://daheimnisse.ch/wp-content/uploads/2020/03/kd_schlussbericht.pdf) zeigt auf, dass die Kinder und Jugendlichen nach dem Keine Daheimnisse-Projekt bedeutend mehr (durchschnittlich 2.4 Nennungen pro Kind) Anlaufstellen und hilfreiche Personen nennen konnten als vor dem Projekt (durchschnittlich 1.6 Nennungen pro Kind). Ebenfalls zeigte die Evaluation eine erhöhte Bereitschaft, einem:r betroffenen Kollegen:in zur Hilfesuche zu raten bzw. für sich selbst Hilfe zu holen.
Multiplikation bei Peers und Erziehungsberechtigten

Ein lokales Keine Daheimnisse-Projekt ist in mehrere Projektphasen aufgeteilt (Ablauf eines lokalen Projekts: siehe Abbildung 1). Nach Workshop widmen sich die Kinder/Jugendlichen der partizipativen, thematischen Vertiefung. Die Erarbeitung von verschiedenen kreativen Aktivitäten (Flyer, Give-Aways, Interviews führen und auswerten, Rollenspiele, Plakate zu Hilfestellen/Kinderrechten, Multiplikationsveranstaltung planen, etc.) führt dazu, dass sich die Kinder/Jugendlichen weiter mit den Themen Gewalt, Kinderrechte und Hilfe auseinandersetzen. Viele der betroffenen Kinder/Jugendlichen beginnen in dieser Phase, mit der Lehrperson oder der Schulsozialarbeit über ihre Erlebnisse zu sprechen. Gleichzeitig wächst in dieser Phase das Gemeinschaftsgefühl in der Gruppe, sich gegen körperliche und andere übergriffige Strafen und für Kinderrechte einsetzen und als Expert:innen auftreten zu wollen.

Als Abschluss des Projekts präsentieren die Kinder/Jugendlichen ihre Ergebnisse und Darbietungen anderen Kindern und Jugendlichen (z.B. weiteren Schulklassen) sowie ihren Eltern und anderen Erziehungsberechtigten. Dadurch können durch ein lokales Keine Daheimnisse-Projekt die ganze Institution sowie die Familien erreicht und sensibilisiert werden. Die Flyer und Give-Aways (z.B. Silikonarmbänder, Bleistifte, Notizblöcke o.ä.) werden mit dem Klassenslogan (z.B. Wir Kinder sind unschlagbar!) bedruckt und an andere Kinder, Jugendliche und die Familien verteilt. Das gibt Anlass, das Thema auch zu Hause wieder aufzugreifen oder – im Falle von Konflikten – sich an die Botschaften zu erinnern.

Expert:innengruppen

Im Vorfeld oder während des ersten Treffens mit den Kindern und Jugendlichen, melden sich häufig Betroffene und erzählen von der Gewalt, die sie selbst erlebt oder beobachtet haben. Im Projekt Keine Daheimnisse ist es deshalb von grosser Bedeutung, dass nebst Lehrpersonen oder Sozialpädagog:innen lokale Fachpersonen anwesend sind, welche die Äusserungen hören und das Kind adäquat begleiten können. Häufig stellen wir aber auch fest, dass einige Kinder die Situation relativieren oder nicht mehr darüber sprechen wollen, wenn nach einiger Zeit das Gespräch mit ihnen gesucht wird. Deshalb hat NCBI Schweiz ein optionales Gruppencoachingangebot entwickelt: die Expert:innengruppen. Teilnehmen können Kinder und Jugendliche, die das Thema körperliche und andere übergriffige Strafen gut kennen und die mehr über sich selbst lernen wollen. Jede Person entscheidet selbst, ob sie sich für die Expert:innengruppe melden möchte oder nicht. Die Lehrperson oder andere Fachpersonen können mögliche Teilnehmende ermutigen oder anfragen, aber die Teilnahme bleibt immer freiwillig. In diesem Gruppencoaching wird sehr zeitnah (1-7 Tage nach dem ersten Treffen) an der Thematik weitergearbeitet. Die Expert:innengruppe trifft sich mindestens drei Mal. Durch verschiedene Übungen können die Teilnehmenden ihre Kompetenzen und Ressourcen im Umgang mit Betroffenheit weiterentwickeln. Sie lernen dabei auch, sich selbst wahrzunehmen (z.B. Wie merke ich, was in mir abgeht? Wie kann ich Kontrolle bekommen über mich und darüber, was mit mir geschieht?). Die lokalen Fachpersonen und die Fachpersonen von NCBI Schweiz erhalten zudem die Möglichkeit, die Kinder/Jugendlichen während der Treffen besser kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen, um so die weitere Begleitung und Beratung gut aufgleisen zu können.

Kinder- und Jugendgruppen gesucht

Es werden Kinder- und Jugendgruppen der offenen, verbandlichen und kirchlichen Jugendarbeit, Schulklassen, Peacemakergruppen, SEMOs, Heiminstitutionen etc. aus der Deutschschweiz gesucht, die daran interessiert sind, sich in Form eines lokalen Projekts zu beteiligen. Mit Unterstützung von NCBI werden Aktivitäten geplant, um Kinder und Jugendliche in die Auseinandersetzung mit dem Thema zu führen. Als Einstieg werden alle den von NCBI geleiteten Workshop „Keine Daheimnisse“ besuchen. Danach führen die Kinder und Jugendlichen als feste Projektbestandteile Interviews mit verschiedenen Personen und gestalten ihren eigenen Flyer. So werden „Daheim-Geheimnisse“ angesprochen. Anlässlich eines lokalen Events werden die erarbeiteten Inhalte vorgestellt und so auch andere Kinder, Jugendliche und die Eltern angesprochen und sensibilisiert. Indem die Kinder und Jugendlichen ihre Meinungen und Ideen nach aussen präsentieren, tragen sie ein Stück weit zur Enttabuisierung des Themas bei.

Weitere Informationen erhalten Sie auf der Website des Projekts oder im Keine Daheimnisse-Erklärvideo

Das Projekt «Keine Daheimnisse» ist in der Datenbank von education21 referenziert.

Die Hintergrundinformationen

In zahlreichen europäischen Ländern existiert ein gesetzliches Verbot von körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Massnahmen gegenüber Kindern und Jugendlichen. Obwohl die Schweiz die UNO-Kinderrechtskonvention, welche die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, Kinder vor jeglicher Form körperlicher Gewaltanwendung zu schützen, ratifiziert hat, gibt es bisher keine erfolgreichen Bemühungen, diesen Grundsatz auch im Schweizerischen Gesetz zu verankern. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Häufigkeiten von körperlicher Gewalt in der Erziehung in Ländern mit einem gesetzlichen Verbot deutlich abgenommen haben. Dies ist in erster Linie auf die Präventions- und Aufklärungsarbeiten zurückzuführen, welche gleichzeitig mit der Gesetzeseinführung getätigt wurden.

Der Zusammenhang zwischen dem Erleben von körperlicher Gewalt in der Kindheit und Jugend und späterer Gewalttätigkeit gegen sich selbst und andere ist wissenschaftlich belegt. Umso wichtiger ist es, die Selbstbehauptungskompetenzen der Kinder und Jugendlichen im Umgang mit vermuteten, erlebten oder beobachteten körperlichen und anderen übergriffigen Strafen zu stärken. Sie müssen wissen, dass Hilfe in Anspruch genommen werden kann und dass Lösungen gefunden werden können, ohne dass Familien auseinandergerissen werden müssen.

Tagungen und Webinare

Mehr Informationen zu unseren Tagungen und Webinaren finden Sie hier.

Die Partner

NCBI konnte verschiedene Organisationen dafür gewinnen, die Projektidee zu unterstützen. Das Projekt ist so breit abgestützt und kann durch die Mitarbeit verschiedener Organisationen noch mehr Wirkung erzielen. Wir sind auch weiterhin auf der Suche nach neuen Partnerorganisationen und Sponsoren, welche an der Projektidee und an einer Zusammenarbeit interessiert sind. Mit folgenden Partnerorganisationen wird bereits SAJV (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände):

  • SAJV
  • Infoklick
  • Jungwacht Blauring
  • CEVI
  • Pfadibewegung Schweiz
  • Juseso Verein
  • JuAr Basel
  • Kinderschutz Schweiz
  • Contact Netz
  • Wen-Do Bern
  • Schweizerisches Institut für Gewaltprävention (SIG)

Kontakt

Madleina Brunner Thiam

Telefon 079 666 42 00 oder E-Mail madleina.brunner(at)ncbi.ch

Stimmen zum Projekt

Sponsor:innen

Frühere Sponsor:innen:

  • Schweizer Fonds für Kinderschutzprojekte
  • OAK Foundation
  • BSV Bundesamt für Sozialversicherungen